Mit der Kettensäge auf Füllwortjagd: Der Betaleser

Gestern habe ich darüber geschrieben, wie ich Textkritik annehme, heute möchte ich ein wenig über das Geben von Textkritik schreiben.
Erst einmal: einen fremden Text zu betazulesen“ ist ganz sicher nicht einfach (verflixt, muss da jetzt ein Komma hin oder nicht? Ich brauche schon Betaleser für mein Blog!). Schon gar nicht, wenn es der Text eines guten Bekannten oder einer guten Freundin ist, sprich, von einem Menschen, dem man auf gar keinen Fall auf die Füße treten, die Lust am Schreiben nehmen oder ihn sonst irgendwie „runterziehen“ möchte. Also, was tun?

Beschnuppern
Wenn ich für jemanden aus meinem Bekannten-und Freundeskreis betalese, dann teste ich erst einmal an, ob mir der Stil des Autors überhaupt liegt. Denn wenn nicht, brauche ich gar nicht erst anfangen, einen Beta-Durchgang zu machen. Dann kann ich vielleicht Tippfehler und Grammatik korrigieren, wenn nötig, vielleicht auf die innere Logik gucken, aber keine Stilvorschläge unterbreiten – denn dann müsste ich den ganzen Text ummodeln und würde dem Autor damit meinen Stil aufzwingen, statt mit ihm zusammen an seinem zu arbeiten. Da sollte man als Betaleser auch durchaus den Mut haben, einen Text nach einem kurzen Beschnuppern zurückzugeben und so ehrlich sein, zu sagen, dass man damit nichts anfangen kann. Lieber ein abgelehnter Text als eine angeknackste Freundschaft.

Vorschläge
„Nimm, was du brauchen kannst, und hau den Rest in die Tonne“. Damit will ich nicht sagen, dass der Autor all meine Kommentare ignorieren und weiter sein Ding machen soll, nein. Ich sage ihm damit, dass das, was ich ihm gebe, Vorschläge sind, Dinge, die ich vielleicht besser, glatter, passender, schöner finde. Oft wird man als Autor so betriebsblind dem eigenen Text gegenüber, dass man murksige Formulierungen oder seltsame Bilder gar nicht mehr wahrnimmt und seinen eigenen Stilmarotten gegenüber vollkommen immun ist. Das kennt sicher jeder, eine bestimmte Formulierung, ein Bild, das einem besonders gut gefällt, und das sich, weil man es ja so liebt, in jeden zweiten Satz einschleicht. Meine Autorenkollegin Tanja Rast nennt meine Marotten liebevoll „Ary-ismen“, nach meinem Tintenzirkel-Forennamen „Aryana“ und dem bekannten „-ismus“. Mein Pferdefuß sind Cicero-eske Rhetorikstilmittel. In Maßen vielleicht ganz nett, aber ich gebe zu, man kann es auch übertreiben, und wie schrecklich sich das später liest, nehme ich selbst gar nicht mehr wahr, da brauche ich Betaleser, um mich mit der Nase auf diese Häufungen zu stoßen. Finde ich bei anderen so etwas, markere ich es natürlich auch an. Trotzdem versuche ich, nicht jede dieser kleinen Marotten auszumerzen, denn sie sind das, was den Stil des Autors prägt und ihm in der richtigen Dosis die persönliche Note verleihen, typisch für ihn ist.
Genauso sehe ich die Jagd auf Adjektive und Füllwörter. Die Dosis macht das Gift, nicht jedes Adjektiv ist überflüssig und nicht jedes Füllwort tatsächlich nur ein Füllsel. Trotzdem – oft sieht man als Betaleser sehr viel besser als der Autor, wo man die Kettensäge ansetzen und einen Text kürzen und straffen kann. der Autor hängt mit Herzblut an jedem Wort, der Betaleser erkennt unter der ganzen Textverliebtheit besser die Grenze zwischen dem, was wirklich noch nötig ist, und dem sich endlos wiederholenden Gelaber, in das man gerade dann so leicht verfällt, wenn man zum beispiel den NaNoWriMo mitschreibt und nicht nur Qualität, sondern auch Quantität produziert.

Objektivität
Kritik ist niemals zu 100 Prozent objektiv. Trotzdem versuche ich, so objektiv wie möglich zu formulieren, freundlich, ohne Spitzen, wenn ich weiß, dass der Autor es verträgt, mit einer Prise Humor. Nichts tut so gut, wie beim Überarbeiten über die eigenen kleinen Unzulänglichkeiten zu lächeln oder sogar laut zu lachen. Und es nimmt der Kritik die Schärfe.

Erklären
„Das ist nicht gut“ ist durchaus eine Kritik, aber keine Brauchbare, denn sie ist unbegründet. Ich bemühe mich, zu erklären, warum mir etwas nicht gefällt, auch wenn das Nichtgefallen zuerst vielleicht nur einem vagen Bauchgefühl entspringt. Mit etwas Suchen gibt es für vieles, das sich beim lesen seltsam anfühlt, eine Erklärung. „Dein Protagonist handelt unlogisch“. Okay, Protagonisten sind meist auch nur Menschen und nicht immer komplett logisch, aber dem Autor hilft nicht, wenn ich ihm sage, dass sein Protagonist unlogisch handelt oder sich out-of-character benimmt, ich muss an beispielen belegen, wo im Text er das tut, damit der Autor mein Genörgel über den inkonsequenten Helden auch nachvollziehen kann.

Loben!
Finde ich ganz wichtig. Ich sage „meinen“ Autoren nicht nur, was mich nicht gefällt, sondern gerade auch, wenn mir etwas besonders gut gefällt oder ich eine Formulierung oder eine Plotwendung für sehr gelungen halte. Ich bin selbst ein Mensch, den Kritik zwar anstachelt, etwas besser zu machen, den aber auch ausschließlich negatives Feedback eher dazu animiert, den Kopf in den Sand zu stecken und alles in die Tonne zu treten, statt an der Sache zu arbeiten. Lob ist das, was am meisten motiviert, also, liebe Betaleser, spart bei aller gerechtfertigten Kritik nicht mit Lob und gönnt dem gebeutelten Schreiberling, dessen Text ihr seziert, auch ab und zu mal einen Keks.

Danke fürs Lesen!