Fortsetzungsroman: Erwählte des Zwielichts 1
Erwählte des Zwielichts
Erster Teil: Kinder des Krieges
I
„Es ist alles so sinnlos!“ Iloyon fiel mehr in den Graben, als dass er hinuntersprang. Die letzten Nächte und Tage forderten ihren Tribut, er fühlte sich mehr tot als lebendig. Keuchend blieb er einen Moment liegen, dann rappelte er sich auf. “Es sind zu viele.“
Iloyon fuhr sich mit der Hand über die Stirn, strich sich Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich aus seinem Zopf gelöst hatten. Schlamm von seinen Fingern blieb auf seinen Wangen zurück, er machte sich nicht die Mühe, ihn wegzuwischen.
„Wie viele, Heerführer?“ Amayas tauchte neben ihm aus den Schatten auf und sah ihn an. In den Augen des Generals standen Tausende von Fragen, auf die Iloyon keine Antwort wusste, auch wenn er ahnte, wie sie lauteten.
„Der ganze Wald wimmelt von ihnen. Sie haben mehr Bogenschützen, als ich je auf einem Haufen gesehen habe. Hinter ihre Linien bin ich gar nicht erst gekommen. Wir müssen hier weg. Am besten schon morgen, wir müssen den obersten Heerführer warnen, bevor es zu spät ist. Wenn die über uns hereinbrechen, sind wir am Ende.“
„Was redest du da? Mag ja sein, dass sie mehr sind als wir, aber wir haben die bessere Strategie. Wir werden sie niedermachen, Iloyon. Alle. Sie werden vor uns im Dreck liegen, weil wir diejenigen sind, die im Dreck kämpfen.“
„Du meinst wie Dreck.“
Amayas grinste wölfisch. „Ganz genau. Während sie sich noch fragen, ob ein Schlag ehrenhaft genug ist, haben wir ihnen schon den Dolch von hinten zwischen die Schulterblätter gerammt.“
Iloyon seufzte. Er war müde, er fühlte sich ausgelaugt und schmutzig. Nicht nur seine einfache schwarze Uniform, die als einziges Zeichen seines Ranges zwei gekreuzte rote Dolche auf der linken Brustseite zeigte, war verdreckt, auch in seinem Inneren fühlte er sich beschmutzt. Unrein. Blut klebte an seinen Händen, unsichtbar, doch er konnte noch immer fühlen, wie es zäh und rot glitzernd an seinen Fingern trocknete. Das Blut der anderen, der Hellen, der Elfen, der Shir’ianatha und Lichtelben. Nicht zum ersten Mal in diesem Krieg fühlte er sich genauso, wie die Hellen ihn und seine Leute sahen. Dunkel, schmutzig und unehrenhaft. Was war das für ein Krieg? Wo hatten sie ihre Ehre verloren zwischen all dem Blut und Dreck?
Iloyon spürte eine Hand auf der Schulter. Amayas. Er rüttelte ihn sanft.
„Geh in dein Zelt, Heerführer. Ruh dich aus. Du hättest gar nicht da draußen sein sollen.“
Iloyon schnaubte. „Und wer außer mir hätte die Kundschafter führen sollen? Die meisten von ihnen waren schon mehr tot als lebendig, bevor wir aufgebrochen sind. Zwei habe ich verloren, fünf sind im Lazarett. Die anderen vier habe ich in ihre Zelte geschickt. Jemand muss hier sein und wachen. Und wenn wir die einzigen sind, die noch halbwegs wach genug sind, das zu tun, dann müssen wir …“
„Mir geht es gut. Ich habe den Tag über geschlafen. Du gehörst auf deine Felle. Cianthara wird sich Sorgen machen.“
„Nein. Ich habe sie im Lazarett gesehen und mit ihr geredet. Ja, sie hat versucht, mich aufzuhalten, aber sie sieht ein, dass ich jetzt hier sein muss. Sie kennt den Krieg. Auch sie kann nicht anders. Sie kümmert sich seit Nächten um die Verwundeten, sie kann selbst kaum noch stehen, und ich sage ihr auch nicht, dass sie aufhören und sich schlafen legen soll. Ich könnte gar nicht schlafen. Nicht jetzt. Auch nicht morgen.“
Amayas seufzte. „Unverbesserlich“, knurrte er. „Erzähl mir von deinen Plänen.“