Fortsetzungsroman: Erwählte des Zwielichts 3
Iloyon erwachte von einer heftigen Bewegung neben sich. Cianthara regte sich unruhig im Schlaf, sie zitterte, ihre ausgestreckte Hand schien nach etwas zu greifen, das nur sie sehen konnte, ihr Mund war zu einem stummen Ruf geöffnet. Iloyon nahm ihre Hand.
„Cianthara. Tien’sha. Wach auf!“ Er rüttelte sie sanft.
Mit einem Keuchen öffnete sie die Augen und starrte Iloyon an, als würde sie durch ihn hindurchsehen.
Iloyon hielt den Atem an. Ihre Augen. Sie waren so voller Schmerz, Sehnsucht und Angst, dass es ihm ins Herz schnitt. „Ich bin da, Tien’sha. Alles ist gut, ich bin da. Was hast du?“
„Iloyon.“ Sie ließ sich in die Felle zurücksinken und schmiegte sich an ihn. „Ich hatte wieder diesen Traum.“ Sie atmete tief durch. „Ich habe immer wieder denselben Traum. Seit Wochen schon. Und ich verstehe einfach nicht, was er mir sagen will.“
„Dann teile ihn mit mir. Vielleicht finden wir es gemeinsam heraus.“ Iloyon strich ihr sacht über den Rücken und hielt sie in seinem Arm. Diese ewige Müdigkeit macht uns allen zu schaffen. Wenn Cianthara sich nicht bald vollständig ausruhen kann, werden wir sie verlieren …
Er erinnerte sich nur zu gut an die Geschichten, die man sich im Heer erzählte. Schon viele Heiler hatten sich vollkommen aufgegeben, während sie versuchten, ihre Waffengeschwister vor dem sicheren Tod zu bewahren. Einige hatten in ihrer Erschöpfung den Verstand verloren und sich wie Wahnsinnige in die Schlacht gestürzt. Iloyon hatte selbst so einen Heiler gesehen.
Hört auf! Hört auf zu kämpfen! Bitte. Hört doch endlich auf.
Immer wieder hatte der Heiler diese Worte geschrien, dann war er gefallen, durchbohrt von Pfeilen mit hellen und dunklen Federn – Pfeilen beider Seiten. . Noch jetzt sah Iloyon den Gefallenen im Schlamm liegen, der vom Blut aller Völker getränkt war. Iloyon biss sich auf die Lippe. Niemals sollte Cianthara das Schicksal dieses Heilers teilen. „Erzähl mir davon.“
„Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Ich sehe immer dieselben Bilder. Einen Vollmond, der langsam zum Neumond abnimmt. Eine Weile steht am Himmel ein schwarzer Mond, dann nimmt er wieder zu, ich sehe eine Mondsichel, über der Sterne tanzen. Die Sterne scheinen hell, ich habe noch niemals Sterne so leuchten sehen. Und sie weinen. Tropfen fallen von ihnen herab und berühren die Erde. Aber es ist kein Wasser, das von den Sternen fällt. Es ist blausilbernes Feuer, wunderschön. Dann sehe ich mich selbst unter diesem Feuerregen tanzen, ich bin nackt, aber ich friere nicht. Ich fühle mich geborgen. Die Sterne singen für mich. Und dort, wo ihr Feuerregen mich berührt, bleiben auf meiner Haut silberne Male zurück. Ich will immer weitertanzen, ich will all diese Feuertropfen auffangen. Mir ist, als würde ich mit jedem Tropfen, der mich trifft, stärker. Der Wind spielt mit meinem Haar, er singt ein Lied von Wärme und Liebe. Ich habe keine Angst. Ich fühle mich unglaublich wohl. Ungebunden und frei. Stark, schön und stolz. Ich weiß auf einmal ganz genau, wer ich bin, was ich kann und warum ich lebe, alles ist so klar. Aber dann ändert sich alles wieder, ich stehe auf dem Schlachtfeld, um mich herum sterben meine Gefährten, und ich stehe bis zu den Knien in Schlamm und Blut. Über mir vergeht das Feuer der Sterne. Es kann nicht alle Verwundeten heilen. Ich bleibe zurück und strecke die Hand nach dem Mond aus, der nun wieder schwarz ist, und ich flehe die Sterne an, zurückzukommen. Aber sie kommen nicht wieder. Ich bin allein. Und um mich sterben alle.“ Sie schluckte.
Iloyon sah die Tränen, die sie wegblinzeln wollte. Sacht strich er sie weg. „Ich glaube, du siehst, was ich tief in mir fühle. Ich frage mich schon seit langem, ob überhaupt noch irgendjemand weiß, wofür wir eigentlich kämpfen. Worum geht es? Lichtelfen gegen Dunkelelfen? Tag gegen Nacht, hell gegen Dunkel?“
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