Onlineroman: Erwählte des Zwielichts 7
„Heerführer…“
Schritte, jemand sank neben ihm in die Knie. Iloyon sah auf. Tyuran hockte neben ihm das Gesicht bleich, Blut rann ihm aus der Nase, brennend rote Tränenspuren schimmerten auf seinen Wangen. „Sie sind fort.“
Iloyon nickte. Sein Blick wanderte zu seinem gefallenen Gegner, dann sah er sich um. Er wollte nicht sehen, was geschehen war, aber niemand nahm es ihm ab. Die anderen standen um ihn und Tyuran herum, blutend, angeschlagen, verwundet, aber am Leben. Alle. Iloyon fühlte, wie eine Last von seiner Seele glitt. Für einen Moment schloss er die Augen. Er wollte nicht, dass die anderen seine Tränen sahen. Als er wieder aufblickte und genauer hinsah, sah er die Asche, grau, wie feiner Staub, silbrig schimmernd. Der Wind begann bereits, sie zu verwehen. Es sah aus, als würde Rauch aufsteigen.
„Tyuran…“
Der junge Magier zitterte. „Ich… weiß nicht, wie… es ist einfach geschehen. Ich wollte nicht…“
„Schon gut. Es ist gut, Junge. Du hast uns alle gerettet.“
„Ich weiß nicht… ich habe sie getötet. Alle. Es waren so viele. Ich hatte Angst. Und dann… dann… ist es einfach… geschehen…“ Tyuran schwankte, dann sank er Iloyon in die Arme.
Iloyon spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Ihm wurde eiskalt. „Tyuran!“
Er fing den jungen Mann auf, zog ihn in seine Arme, legte sein Ohr an die schmale Brust.
Nichts.
Kein Atem.
Kein Herzschlag.
„Tyuran!“ Iloyon packte Tyuran und schüttelte den zierlichen Körper. „Tyuran! Nein. Bitte nicht. Tyuran!“
Nichts.
„Tyuran. Bitte nicht. Tu mir das nicht an, Junge. Bitte nicht!“
Nichts.
Stille, kein Atem, kein Herzschlag.
Iloyon begann zu zittern. Der erschlaffte Körper entglitt seinen Armen. Er sah nichts mehr, die Tränen machten ihn blind. Er spürte, wie etwas in ihm zerbrach; es blutete und würde nie wieder aufhören. Noch ein Name, der sich in seine Erinnerung einbrannte, noch ein Gesicht, das ihn im Schlaf heimsuchen würde mit einer stummen Frage auf den bleichen Lippen: Warum?
Iloyon spürte eine Bewegung neben sich und sah Cianthara, die neben Tyuran auf die Knie sank und ihre Hände auf die Brust des Magiers legte. Konzentriert schloss sie die Augen, Iloyon sah das sanfte rötliche Glühen, das ihre Hände umgab. Es flackerte, flammte kurz auf und verlosch dann. Cianthara ließ den Kopf hängen. Iloyon schloss die Augen. Sie brannten hinter den geschlossenen Lidern, er würgte die Tränen hinunter.
Cianthara lehnte sich an ihn. „Wir haben ihn verloren. Er ist gegangen.“
Iloyon antwortete nicht.
„Tien’sha. Iloyon, sieh mich an!“ Ciantharas Hand schloss sich um seine.
Er schüttelte den Kopf. In diesem Augenblick wollte er niemanden sehen, nicht einmal seine Geliebte. Der Tod tat immer weh. Seine Leute kämpften so gut miteinander, weil sie Freunde waren, einander vertrauten, den Rücken deckten und halfen. Das machte vieles leichter. Und vieles so unendlich schlimmer. Iloyon atmete tief durch, dann richtete er sich auf und sah Cianthara an. „Warum er?“
Er hörte sie schlucken. „Er hat uns alle gerettet. Wenn er diesen Zauber nicht gewoben hätte, dann … ich weiß nicht, was dann passiert wäre. Sie waren schon zu Veannan durchgedrungen, sie waren kurz davor, ihn einfach abzuschlachten, wehrlos, wie er war. Tyuran hat es gesehen. Ich habe das Feuer in seinen Augen erkannt, als er seine Deckung aufgab und den Zauber wob. Er hat alles gegeben, Tian’sha. Weil er uns helfen wollte. Ich habe ihn gerufen, ich wollte ihn zurückhalten, aber es war zu spät.“
„Er hat immer nur helfen wollen.“ Iloyon hieb in den Waldboden. „Helfen, Cianthara. Helfen. Er ist in den Krieg gezogen, weil er helfen wollte, ihn zu beenden, und was hat es ihm gebracht? Den Tod! Sieh ihn dir an, er war noch ein Kind!“
„Er war ein Magier, Tien’sha. Ausgebildet und von der Gilde gesandt.“
„Weil er es wollte. Wenn sie ihn nicht gehenlassen hätten, wäre er von sich aus gegangen. Und warum? Um den Tod zu finden? Verdammt! Ich hätte besser auf ihn aufpassen müssen!“
Iloyon strich über Tyurans Haar, seine Finger gruben sich in die weichen schwarzen Strähnen. Nach einer Weile schloss er dem jungen Magier die Augen. Als er sich aufraffte und aufstand, spürte er nichts mehr. Nicht die Wunde in seiner Schulter, nicht den Schmerz, der eben noch sein Inneres zerrissen hatte. Da war nichts. Nur noch Leere. Er sah seine Leute an, einen nach dem anderen. Naeve mit dem blutigen Verband über dem Auge. Liandras, Dirian, Malika. „Kommt zu mir. Alle.“