Schwere Buchgeburt – schreiben mit dem „schwarzen Hund“
Ein Thema, mit dem ich sehr offen umgehe: ich habe Depressionen. Nicht immer, aber doch latent lauert der „Schwarze Hund,“ den ich erstmals 2011 so richtig heftig bellen hörte, irgendwo in einer Ecke in meinem Leben und wächst gerade in stressigen und belastenden Zeiten von Chihuahua-Größe auf den Umfang einer ausgewachsenen Dänischen Dogge heran.
Das erste Halbjahr 2019 war für mich extrem belastend und stressig – im Brotjob war jede Menge los, ein wichtiger Abschlussbericht musste unter Zeitdruck fertiggestellt werden, ein Haufen Workshops, die wir planen und durchführen mussten, stand vor der Tür. Termindruck an jeder Ecke, auch in meinem Nebenberuf als freie Autorin.
Dazu ging es meinem schon lange erkrankten und im Pflegeheim lebenden Vater zusehends schlechter – sehr schwer zu ertragen für meine Mutter und mich, und irgendwo auch eine Belastung für unser Mutter-Tochter-Verhältnis.
Mein einziger Lichtblick in dieser Zeit: eine mir eigentlich wegen Schreibtischtäter-Rückenproblemen verordnete Reha, an meiner geliebten Nordsee in Norddeich. Direkt vor der Haustür, nahe genug an Familie und Freunden, um da zu sein, wenn es mal irgendwo brennen sollte, und doch weit genug weg, um den Kopf frei zu bekommen.
Während dieser Zeit hielten mir liebe Kolleg*innen im Brotjob den Rücken frei, und meine wunderbaren Uferlosen unterstützten mich bei meinen aktuellen Buchprojekten. Liebesflammen 3 – Schatz der Tiefe (LINK) sollte unbedingt vor der Reha noch raus, und DU Seelengefährten 5 – Kriegerblut zumindest im Rohbau fertig sein, damit während meiner 4 Wochen Reha die Betaleser Zeit genug haben würden, all meine kleinen Patzerchen aufzuspüren.
Das Problem daran nur: Kriegerblut musste erst einmal fertig geschrieben werden. Und meine riesige Dänische Dogge tat alles, um mich davon abzuhalten.
Sie brachte einen Riesenhaufen Selbstzweifel mit. Schon beim Öffnen des Manuskriptes hatte ich Bauchweh und Herzklopfen und das unbestimmte Gefühl, über 50.000 Wörter Müll geschrieben zu haben. Ich wollte weiterschreiben und das Buch beenden, aber ich konnte es nicht. Ich fand alles nur noch doof, nur noch schlecht, nur noch „blah“. Schlecht geplottet, schlecht geschrieben, alles Mist. Fragt nicht, wie oft ich kurz davor war, alles zu löschen.
Da kam die Rettung in Form von wunderbaren Zwischen-Testlesern. Ich wollte keine Komplimente, kein Kopftätscheln und keine Streicheleinheiten. Ich wollte einen unverschleierten, ruhigen Blick auf das Ganze und eine Stimme der Vernunft, die mir sagt: Ja, du hast recht, das ist alles Käse, fang noch mal neu an. Oder : Nein, du schielst da gerade mit der Depressionsbrille drauf, klar, was zu verbessern gibt es immer, aber das Buch ist nicht schlecht.
Ich glaubte meinen Betas, überarbeitete den teilweise etwas zerlaberten Anfang, straffte hier, ergänzte da, fabrizierte ein in meinen Augen tatsächlich brauchbares Ende, schickte das Buch wieder an die Betas – und mich in die Reha und den Schreiburlaub. Ich hatte erkannt, dass ich wirklich dringend eine Pause brauchte, so ungern ich das auch vor mir zugeben wollte.
Im Grunde bin ich kein Arbeitstier. Ich weiß inzwischen, wie eine vernünftige Work-Life-Balance aussieht, und dass auch ein Nebenjob wie meine Autorentätigkeit, die mir Spaß macht, trotzdem ARBEIT ist. Schließlich sitze ich auch dabei am Schreibtisch, strenge meinen Kopf an und hacke auf einer Tastatur herum.
Wie durch ich wirklich war, habe ich erst gemerkt, als ich in meiner Rehaklinik in Norddeich angekommen war und wirklich mal alles von mir schmeißen konnte: Familie, Berufe, Nebenjob, das alles rückte in den Hintergrund, als ich das Aufnahmegespräch führte. Ich wusste: hier geht es nur um mich, das ist ganz allein für mich und meins – und ich darf das. Das hatte ich zuvor mit meiner Mutter besprochen: sie war sehr einverstanden, dass ich gefahren bin, und fühlte sich nicht von mir im Stich gelassen (was mir extrem wichtig war). Inzwischen hatte sie Unterstützung bei Vaters Betreuung durch eine wunderbare Mitarbeiterin vom Hospizdienst. Auch für mich eine große Beruhigung. Ich konnte ohne schlechtes Gewissen etwas für mich tun. Wieder anfangen, Sport zu treiben. Nichts zu müssen – außer, mich an meinen Therapieplan zu halten, aber dafür war ich ja nun mal dort. Es gefiel mir, es tat mir gut. Ich war am Meer. Allein das ist schon Therapie für mich. Endlich mal wieder entspannen- ich wusste gar nicht mehr, wie das geht.
Die Schreibpause tat gut. Ich wusste mein Kriegerblut in guten Betaleserhänden, wusste, dass ich den angepeilten Veröffentlichungstermin würde halten können. Ich wurde von Tag zu Tag gelassener. Und wieder so stabil, dass ich auch damit umgehen konnte, dass während meiner Rehazeit mein Vater verstarb – nach so langer, so schwerer Krankheit, dass meine Mutter und ich trotz aller Trauer in erster Linie Dankbarkeit empfunden haben.
Ich war überrascht von mir selber, wie gut ich plötzlich wieder mit Dingen umgehen konnte, die mich vor der Reha direkt in eine Panikattacke manövriert hätten. Zusammen mit meiner Mutter konnte ich Trauerfeier und Bestattung planen, ich konnte ihr bei dem echt aufwändigen Papierkram helfen und wieder geduldig mit ihr umgehen, was vor der Reha sehr schwer für mich war.
Und ich fing an, wieder schreiben zu wollen. Ideen kamen aus dunklen Ecken gekrochen. Der Schwarze Hund war wieder ein Chihuahua, sie kamen jetzt wieder an ihm vorbei. Erst mal habe ich sie nur notiert, inzwischen sind sie ausgearbeitet, und ich schreibe wieder: am nächsten Band für die Liebesflammenreihe und an einem längeren Roman für eine weitere Uferlos-Reihe, die im kommenden Jahr starten soll.
Alles ohne Deadlines, ohne Termindruck, denn der tut mir nicht gut. Den habe ich schon im Brotjobzu Genüge. Schreiben ist immer noch ein Nebenjob. Klar, ich bekomme Geld für meine Bücher, aber noch nicht genug, um den Brotjob reduzieren oder gar kündigen zu können. Jetzt heißt es „raus, wenn fertig“ – und fertig bedeutet, geschrieben, gereift, überarbeitet, betagelesen und korrigiert.
Und wenn der Schwarze Hund wieder dazwischenfunkt, dann muss ich auch mit Zeiten leben, in denen ich nicht kreativ sein kann – und dann auch das Schreiben nicht erzwingen. Denn das weckt nur wieder den großen inneren Nörgelkritiker auf. Und der wiederum geht nur allzu gern mit dem großen Hund Gassi. Und wenn die beiden sich miteinander verbünden – dann sollte ich vielleicht die nächste Auszeit nehmen.
Ja, auch depressive Menschen können kreativ sein, oft sind sie sogar extrem kreativ. Aber es wird immer wieder Zeiten geben, in denen die Depression zu mächtig ist und alles kreative Denken lähmt.
Wenn ihr auch zu diesen Menschen gehört: versucht, die Kreativität in der dunklen Phase nicht zu erzwingen. Tut euch was Gutes. Nehmt, wenn ihr könnt, eine Auszeit. Sucht euch Hilfe. Und wenn ihr könnt, geht offen mit eurer Erkrankung um. Psychische Erkrankungen und Beeinträchtigungen sind immer noch viel zu unsichtbar, werden immer noch stigmatisiert. Da sind Menschen nötig, die den Mut haben, den offenen Umgang damit vorzuleben und anderen zu zeigen: wir sind da. Du bist nicht alleine damit.