Yann Martel: Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger

Der Inder Pi ist ein ungewöhnlicher Junge.
Dank seines schwimmwütigen Onkels wurde er nach einem Pariser Schwimmbad mit dem Vornamen „Piscine Molitor“ bedacht.
Dank seiner Offenheit, seiner Neugier, seinem Interesse für Religion und seiner „Warum denn nicht“-Einstellung wurde er schon als Kind gläubiger Hindu, Christ und Moslem. Alles zugleich. Kompromisslos, ehrlich und auf seine Art gottesfürchtig.
Dank der Tatsache, dass sein Vater, ein Zoobesitzer, eines Tages beschließt, mit der Familie und den Zootieren nach Kanada auszuwandern, findet er sich schon bald in misslicher Lage. Der Tanker, der die Familie Patel und den halben Zoo mitnimmt über den großen Teich, kentert, und Piscine „Pi“ Patel ist schiffbrüchig. Zusammen mit einem ausgewachsenen bengalischen Tiger namens „Richard Parker“. Anfangs teilt er sein Rettungsboot zusätzlich mit einem Zebra mit gebrochenem Bein, einem Orang-Utanweibchen, das auf einem Netz voller Bananen schwimmend das Boot erreichte, und einer missgelaunten Hyäne. Doch nachdem die Hyäne das Zebra gefressen, die Orang-Dame mit der Hyäne kurzen Prozess gemacht und der Tiger schließlich über den Orang hergefallen ist, sind sie tatsächlich allein: der Inder und der Tiger, mitten auf dem Pazifik. „Life of Pi“ schildert die skurrile, herrlich schräge, tragikomische Geschichte der beiden ungleichen Schiffbrüchigen, tiefsinnig und philosophisch, spannend und voller Fragen, von denen die Interessanteste am Ende des Buches aufkommt. Wenn nämlich der gerettete Pi im Krankenhaus in Mexiko von zwei Angestellten der japanischen Reederei über den Untergang des Tankers befragt wird, und Pi nicht nur die Geschichte seines Schiffbruchs mit Tiger erzählt, sondern auch noch eine andere, sehr viel bitterer und traurigere.
Der Leser entscheidet am Ende selbst, welche Version der Geschichte über Pis Schiffbruch er lieber glauben möchte.
Lest selbst. Und findet vielleicht eine erstaunliche Antwort auf die Frage nach der Wahrheit.
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Sabrina Zelezný: Kondorkinder – die Suche nach den verlorenen Geschichten

Wenn man Bücher hören könnte, dann klänge „Kondorkinder“ nach dem Wind, der über die Hochplateaus der Anden weht, und nach dem Flügelschlag eines mächtigen Vogels. Wenn ein Buch nach etwas riechen würde, dann röche „Kondorkinder“ nach Staub und Sonnenlicht, nach Mais und Lamawolle. Wenn ein Buch nach etwas schmecken würde, dann schmeckt „Kondorkinder“ ganz sicher nach Maisbier und Karamell, und auch ein bisschen nach Salz und Tränen, bittersüß und geheimnisvoll. „Kondorkinder“ erzählt von lebendigen Geschichten, von Gegensätzen und Vorurteilen, von Welten, die aufeinanderprallen und von dem Versuch, beide Welten auf friedliche Weisemiteinander zu verbinden. Es erzählt von einer Reise, die niemals endet und von einer Aufgabe, die mit jedem Schritt auf dem Weg ihrer Erfüllung größer wird.
„‚Bücher sind schön, Herr‘, heißt es im Klappentext, ‚Sie erzählen Geschichten. Sie sagen uns, wer wir sind. Sie sind gut, um nicht zu vergessen. Bücher sind unsere Seelen aus Papier. Aus Tinte. Darum ist Büchermachen gut, es ist Leben. Darum will ich Büchermachen lernen.‘ So bittet Yawar um eine Lehrstelle beim Meisterbuchbinder. Er sollte der Hüter des Spiegelbuches sein, das Zuflucht der Geschichten des Hochlandes ist. Doch dann wurde das Spiegelbuch zerstört, und die Geschichten streifen nun heimatlos umher. Im Auftrag der Berggötter muss Yawar ein neues Spiegelbuch schaffen. Bald ist das Ziel zum Greifen nah, aber er hat einen mächtigen Fluch auf den Fersen.“
Yanakachi hat nur ein Ziel – ihren Sohn Yawar zu beschützen, vor der Vergangenheit, vor einer möglichen Zukunft und vor der Macht des geschriebenen Wortes. Doch auch Yanakachi kann ihrer Vergangenheit nicht entfliehen. Als sie eines Nachts den verletzten Kondor vor ihrer Hütte findet, beginnt eine Geschichte, der weder Yanakachi, noch Yawar entkommen können. Yawar soll der Yuyaq sein, der Hüter des Spiegelbuches, in dem die alten Geschichten der Andenvölker aufgeschrieben stehen und wie ein Schatz gehütet werden, damit sie niemals in Vergessenheit geraten. Denn wer seine Geschichte verliert, das wissen die Rebellen, die sich Kondorkinder nennen, der verliert sich selbst. Yawar will sich der Aufgabe stellen – doch es kommt alles ganz anders. Das Buch wird zerstört, ein Fluch beginnt sein dunkles Leben und das einzige, was den Fluch abwenden kann, ist die Erschaffung eines neuen Spiegelbuches für die Geschichten, die in dem Augenblick, in dem das Buch vernichtet wurde, heimatlos wurden.
„Kondorkinder“ ist ein Roman voller Poesie. Er entführt den Leser in die Anden, in das Peru der spanischen Kolonialherrschaft, in der die Welt der Indios und die Welt der spanischen Macht aufeinanderprallen und gegensätzlicher nicht sein können. Er erzählt von dem Streben der Hochlandbewohner, sich selbst nicht zu verlieren unter dem Einfluss der Spanier, vom Bewahren alter Geschichten und dem Bewahren der eigenen Identität. Sabrina Zelezný schreibt so, dass man vom ersten Augenblick an in die Geschichte hineingesogen wird, so als sei „Kondorkinder“ selbst so eine lebendige Geschichte, die in das Spiegelbuch gehört. Man merkt der Autorin an, wie sehr sie die Andenwelt liebt und wie intensiv sie sich mit ihr befasst hat. „Kondorkinder“ ist spannend und poetisch, romantisch und bittersüß, zum Heulen traurig und zum Schreien komisch. Die Figuren schleichen sich in das Herz des Lesers, jede einzelne plastisch und lebendig – und in ihrem Handeln, so bitter es manchmal auch sein mag, nachvollziehbar. Der Abschied von Yanakachi, Yawar und Isabel, von Mismi und Sabancaya und vor allem von „Tschakka Alpaka“ Chaski fiel mir richtig schwer. „Kondorkinder – die Suche nach den verlorenen Geschichten“ ist ein Buch, das ich sicherlich nicht nur einmal lesen werde. Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie es mit dem Spiegelbuch weitergeht. In „Kondorkinder – der Fluch des Spiegelbuches“.
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Anika Beer: Wenn die Nacht in Scherben fällt

Nele ist anders. Sie weiß um ihre Fähigkeit, ihre Träume steuern zu können. Dass sie auch die Träume Anderer betreten kann, lernt sie, als sie im Traum den mysteriösen Seth kennenlernt, der sie in seine Welt ziehen will. Was Nele nicht weiß: Seth ist ein Wächter, der das Nachtglas schützen soll, die Barriere, die die Traumwelt von der wirklichen Welt trennt. Seth verfolgt seine eigenen Ziele, als er versucht, Nele nahezukommen. Sie, die Klarträumerin, könnte ihm eine Hilfe sein…
Jari ist ein Außenseiter. Seine Mutter trinkt, sein Vater prügelt und erlaubt ihm kaum Kontakt zu anderen Kindern. Nele ist seit langem die erste, die er ein wenig an sich heranlässt. Doch als sein Vater wieder einmal zuschlägt, passiert Schlimmes: Jari verliert sich, er stürzt in die Traumwelt und in das Nachtglas hinein. Während er sich hinter dem Nachtglas seine eigene Traumwelt erschafft, ahnt ernicht, dass er dadurch das Gefüge von Traum und Wirklichkeit empfindlich stört. Die einzige, die helfen kann, ist Nele…
„Wenn die Nacht in Scherben fällt“ ist Anika Beers zweites Jugendbuch. Die Geschichte ist realitätsnah und phantastisch zugleich, sie berührt die Probleme Jugendlicher, ohne eine „Problemgeschichte“ zu sein. Eine spannende, dichte Geschichte mit vielschichtigen Charakteren voller Tiefgang. Jaris Schicksal berührt, Nele ist von Anfang an sympathisch – ein starkes, selbstbewusstes Mädchen, das sich nichts sagen lässt, das aber immer menschlich bleibt und Fehler und Schwächen hat. Anika Beer versteht es, die Handlungsstränge miteinander zu verweben und die Geschichte immer spannend zu halten. Hat mir sehr viel Spaß gemacht. Das Buch hat nur einen einzigen Fehler. Es ist zu schnell zuende.
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