Kategorie: Rezensionen
Buchkritiken
Deborah Feldman: Unorthodox
Vorweg: dies ist keine Rezension. Ich wüsste gar nicht, wie ich ein Buch wie „Unorthodox“ überhaupt rezensieren sollte. Kann ich als Leserin das Leben der Autorin, das sie in ihrem Buch so schonungslos ehrlich, unaufgeregt sachlich und in einer Weise, dass das Weiterlesen manchmal schmerzt, rezensieren? Ich denke nicht. Trotzdem möchte ich einige meiner Gedanken zu diesem Buch teilen, das mich schon nach wenigen Seiten unglaublich beeindruckt hat.
In „Unorthodox“ beschreibt Deborah Feldman ihre Kindheit, Jugend und ihr Leben als junge Erwachsene als Satmarer Chassidin in Williamsburg, New York. Im engen Korsett religiöser Regeln, denen sich chassidische Juden unterwerfen, sehnt sich Deborah Feldman nach Freiheit, nicht nur im Sinne von Freiheit, hinzugehen, wohin man will und zu tun und zu lassen, was man selbst für gut und richtig hält, sondern vor allem auch nach einer Freiheit des Geistes. So schleicht sie sich schon als kleine Kind in die Bibliothek und schmuggelt nicht-koschere, also unerlaubte, unzensierte weltliche Literatur in ihr Zimmer, liest heimlich und verbirgt die Bücher unter ihrer Matratze. Sie stellt als Mädchen nicht die Religion an sich infrage, sucht aber immer wieder Fluchtwege aus den strengen Regeln der Satmarer Chassiden. In der Schule lebt sie für den Englischunterricht und wird nach ihrem Schulabschluss Lehrerin für Englisch in den Unterstufenklassen. Mit Siebzehn wird sie nach einem aufwändigen, von Ehevermittlerin und Familien arrangierten mehrstufigen Kennenlernen mit einem jungen Mann verheiratet und muss sich nun den Regeln der verheirateten Frauen ihrer Gemeinde unterwerfen. Weder sie noch ihr Mann sind sexuell aufgeklärt, dennoch wird von ihnen erwartet, dass sie in der Hochzeitsnacht die Ehe vollziehen. ZU beschreiben, was das für die junge Deborah nach sich zieht an Qual, Peinlichkeiten, Arztbesuchen und Therapien, möchte ich hier gar nicht wiedergeben, ich denke, jede/r, der/die davon liest, wird sich eigene Gedanken dazu machen können.
Trotz aller Widrigkeiten – Deborah wird schwanger, bringt einen gesunden Sohn zur Welt, sieht sich nun nicht mehr nur in der Rolle einer chassidischen Ehefrau, sondern einer chassidischen Mutter eines Sohnes, der nach chaissidischem Glauben aufgezogen werden und aufwachsen soll. Immer mehr sieht Deborah Feldman sich als Gefangene ihrer Welt, und immer wieder bricht sie ein Stückchen mehr aus. Heimlich schreibt sie sich Sarah Lawrence College ein und studiert Literatur. Anonym beginnt sie, über ihr Leben zu bloggen, schreibt offen über ihre Probleme mit Sex und stößt auf große Resonanz, sowohl von außerhalb als auch von innerhalb ihrer Gemeinde. Schließlich gelingt ihr der Ausbruch – sie lässt sich von ihrem Mann scheiden und zieht schließlich mit ihrem Sohn nach Berlin, wo sie als freie Schriftstellerin lebt und arbeitet. Zu ihrer Gemeinde in Williamsburg und zu ihrer Familie hat sie keinen Kontakt mehr – sie gilt dort als Verräterin.
„Ich bin machthungrig“, schreibt sie in „Unorthodox“, „aber nicht, um über andere zu herrschen; nur, um mir selbst zu gehören.“ An anderer Stelle, als sie über eine Verwandte schreibt, die große Eigeninitiative zeigte, als ihre Tochter an Diphtherie erkrankte und zu sterben drohte: „Ich möchte auch eine solche Frau sein, die sich ihr eigenes Wunder erkämpft, anstatt auf Gott zu warten, damit er es vollbringe.“
Offizielle Webseite von Deborah Feldman. Unter „Meinung“ finden sich Artikel und Interviews.
Valerie Colberg: Talvars Schuld
Der Roman „Talvars Schuld“ von Valerie Colberg entzieht sich jeder Genre-Einordnung, und gerade das macht ihn so faszinierend. Er ist spannend wie ein Krimi, intensiv wie ein Entwicklungsroman, wirkt wie ein historischer Roman und spielt doch in einer vollkommen eigenen, akribisch durchdachten und perfekt gebauten Welt. Wer sich an das antike Rom mit seinem Senat, seiner Rednertribüne auf dem Forum Romanum und die ausgefeilten Rhetorikkämpfe, die dort stattfanden, erinnert fühlt, liegt nicht falsch, denn Valerie Colbergs „Kessel“ ist an eben diesen historischen Schauplatz angelehnt.
In die Stadt Kessel mit all ihren Intrigen, politischen Ränkespielen und Prozessen, die über Aufstieg oder Niedergang entscheiden, landet der junge Kadevis bei seinem Mentor Malkar, um von ihm zu lernen und in die politische Gesellschaft eingeführt zu werden. Doch Kadevis ist nicht nur an seiner Ausbildung interessiert – vor vielen Jahren fand in Kessel ein Prozess gegen den einflussreichen Talvar statt, der angeblich Kadevis‘ Eltern während eines Feldzugs gegen die Inselreiche ermordet und wertvolle Kriegsbeute unterschlagen haben soll. Als Kadevis merkt, dass Malkar nach ganz eigenen Regeln spielt, während er ihn bei der Suche nach Beweisen für Talvars Schuld unterstützt, ist es um die naive Unschuld des jungen angehenden Politikers schon beinahe geschehen. Und dann ist da noch Lerina, Talvars hübsche und ausgesprochen kluge Tochter, die Kadevis sein Herz stiehlt …
„Talvars Schuld“ beschreibt nicht nur die Suche eines jungen Mannes nach Informationen über den Tod seiner Eltern. Vor allem beschreibt er die Entwicklung eines jungen, naiven Menschen, der unter den Fittichen eines skrupellosen Mentors, der mit Menschen wie mit Karten spielt und ein Meister der Intrigen und Ränke des Adels und der Politiker von Kessel ist, seine Unschuld zu verlieren droht. Der Leser erlebt, wie Kadevis immer mehr zu denken lernt wie sein Meister und sich dabei immer mehr von sich selbst entfremdet, bis er schließlich seine eigene Stärke findet und lernt, seinem Herzen zu folgen.
Valerie Colberg schreibt mitreißend, spickt ihre Geschichte mit spritzigen Dialogen und Wortgefechten, zeigt beeindruckend Kadevis‘ Entwicklung. Nur einen einzigen Nachteil hat dieses Buch – es ist viel zu schnell zu Ende gelesen, und ich als Leser würde gern mehr über Kessel und seine durchtriebenen Politiker erfahren. Vielleicht gelingt es Valerie Colberg, weitere Kessel-Romane an den Verlag zu bringen. Ich würde es ihr (und mir) sehr wünschen.
Dahlia von Dohlenburg: Meermänner küsst Mann nicht
Als Dahlia im Tintenzirkel-Fantasyautorenforum ihre gay romance-Märchenadaption „Meermänner küsst Mann nicht“ vorstellte, war sofort klar: dieses Buch muss ich haben. Die Vorlage, Andersens „Kleine Meerjungfrau“ hat mich schon zu meiner Kinderzeit in ihren Bann geschlagen. Ich schaute die tschechische Filmversion jedes Mal, wenn sie mir im Fernsehen über den Weg lief, ich besaß das Märchen als Hörspiel und natürlich in Buchform, ich liebe die Disney-Version ebenso wie das Original (weil ich Andersen trotz allem „es passt und so traurig ist es letztendlich ja irgendwie doch nicht“ sein eher tragisches Märchenende nie so richtig verziehen habe).
Und ich bin absolut verliebt in Dahlias schnuckeligen Meermann Iain, der wie die kleine Meerjungfrau im Märchen mit seiner Stimme einen finsteren Zauberer bezahlt, um an Land gehen, ein Mensch werden und das Herz des angebeteten Königs Flint gewinnen zu können. Sehnsüchtig wartet Iain auf den Kuss der wahren Liebe von Flints Lippen – doch der junge König hat ganz andere Pläne.
Aber da ist noch jemand, der Iain schon seit Jahren heimlich liebt: Prinz Lennard, des Königs Bruder, dem einst Iain den Schmuck seiner Mutter ans Ufer brachte – in der irrigen Meinung, Lennard sei sein Bruder Flint. Seit diesem Tag begehrt Iain den König – und Lennard ist bis über beide Ohren in Iain verliebt.
Bis Geheimnisse gelüftet und Meermänner endlich erlösend geküsst werden können, vergeht viel Zeit, in der man den armen leidenden Iain einfach nur in den Arm nehmen und knuddeln möchte.
Geschickt bringt Dahlia von Dohlenburg alle Elemente des Märchens in ihre Version der Geschichte ein: den Meerkönig, der in den Menschen nur Feinde sieht, den bösen Zauber, Iains Furcht, zu Meerschaum zu werden, sollte er nicht binnen vier Tagen den erlösenden Liebeskuss erhalten, und den Dolch, der das Leben des Königs beenden soll, damit Iain ins Meer zurückkehren kann.
Bei Dahlia wird im Gegensatz zur Vorlage am Ende alles gut – für alle, aber auf welchen verschlungenen Wegen, das soll hier nicht verraten werden. Das lest lieber selbst. Wenn ihr gay romance mögt und in die „Kleine Meerjngfreu“ genauso verliebt seid wie ich, dann werdet ihr dieses romantische, süße Märchen nicht mehr aus der Hand legen können und danach selbst über Meermänner schreiben wollen.
Ich fahre dann mal an die Küste und suche in den Wellen nach einem Gesicht mit grünen Augen und langem schwarzen Haar.