Kategorie: Schreiben
übers schreiben
Von der Idee zum Roman: Plot, komm raus!
Geschichten sind wilde Tiere. Du kannst ihr Vertrauen gewinnen, aber du kannst sie nie ganz zähmen.
(Sabrina Zelezny, „Kondorkonder – der Fluch des Spiegelbuches“)
Du hast einen Auftrag.
Du hast einen Abgabetermin.
Du hast wartende Betaleser und, noch viel besser, eine erwartungsvolle Verlegerin, mit der das Projekt geplant und besprochen wurde, es wurde abgenickt und alle Zeichen stehen auf „go“.
Go writing. Schreib. Schreib einen verdammt guten Roman.
Und nun?
Ich bin sicher nicht die einzige Autorin, die mit einem groben Konzept, einer vagen Idee, einer mit dem Fuß auf dem Boden herumtappenden Hauptfigur, einem nebulösen Antagonisten und einem um alles herumhüpfenden comic relief-Element am Schreibtisch sitzt und sich überlegt, wie es denn nun losgehen soll, bevor es denn weitergehen kann. „Von der Idee zum Roman“ soll als Artikelreihe den Entstehungsprozess eines mir sehr wichtigen Romanprojekts begleiten.
Es geht um die Nithyara. „Feuersänger“, mein erster Nithyara-Roman, bekommt eine Hochglanzpolitur, wird in der Mitte gespalten und überarbeitet und erscheint 2015 als Taschenbuch und EBook. Und er bleibt nicht allein. Ein Kurzgeschichtenband kommt dazu – und ein Prequel, besagtes neues Projekt, um das es hier gehen soll.
Da wären wir dann schon mitten in der Planung.
Ein Roman, der „etwas mit Feuersänger oder seiner Welt zu tun hat“, soll es sein, also eine Fortsetzung oder eine Geschichte, die vor den Ereignissen in „Feuersänger“ spielen. Die Entscheidung fiel zugunsten des Prequels, weil ich mich erinnere, dass einige Leser gefragt hatten, ob sie denn mehr über Figuren erfahren könnten, die bei Feuersänger zwar wichtig sind, aber eben keine Hauptrolle spielen.
Damit hat sich dann schon der nächste Planungspunkt erledigt: ich habe meine Hauptfigur. Silbersang, der Legendensänger und im „Feuersänger“ Feuersängers Lebensgefährte und Seelenbruder, hat das Rennen um den ersten Platz gewonnen. Ich habe irgendwie auch das Gefühl, es ist nur fair, seine Geschichte ebenfalls zu erzählen, denn für Feuersänger ist Silbersang immens wichtig.
Mit der Hauptfigur kommt der Sidekick, genau genommen zwei davon. Sternenglanz, Feuersängers Lehrmeister, wird eine wichtige Rolle spielen, ebenso ein im Augenblick noch namenloser Dunkelelf. Und natürlich die in meinen Romanen allgegenwärtige Katze in Form eines ganz besonderen Nachtschleichers. Weitere Personen werden nach und nach folgen, meist entstehen sie erst während des Schreibprozesses und füllen sich nach und nach mit Leben. das ist der Moment, in dem Die Kladde zum Einsatz kommt, denn irgendwann wird es schwierig, sich alle kleinen Feinheiten, Haar-und Augenfarben, Körpergrößen, Macken und Haustiere der versammelten plotrelevanten Figuren zu merken.
Und da fiel schon das nächste Stichwort. Plot.
Früher war ich Bauchschreiber, heute plotte ich. Zu oft habe ich die reinen „Bauchprojekte“ inzwischen an die Wand gefahren. Es muss sein, der rote Faden muss her, am besten schriftlich festgehalten in Der Kladde.
Was brauche ich für den Plot? Erst einmal eine Grundidee. Schreibratgeber nennen das oft „Prämisse“, ich nenne es eher Grundidee, das Eine, um das es in der Geschichte gehen soll, worauf sie hinausläuft.
In „Feuersänger“ spricht Silbersang nur ein einziges Mal über seine Vergangenheit, und auch da macht er nur Andeutungen. Er hat Bindungsangst, er spricht Feuersänger gegenüber von Freundschaft und Verrat. Und damit habe ich meinen Aufhänger. Freundschaft, Verrat und, damit das Ende nicht zu traurig wird, Hoffnung, vielleicht sogar Vergebung, wobei noch festzustellen ist, wer am Ende wem vergibt. Darum wird es in der Geschichte gehen.
Leicht gesagt. Wie eingangs zitiert, Geschichten sind wilde Tiere. Noch einmal danke an Sabrina Zelezny für dieses wunderschöne Bild. Ich komme mir gerade wirklich so vor, als würde ich ein scheues Tier zähmen wollen. Die Ideen liegen aus wie Futterbröckchen, wie ein Köder, und ich warte darauf, dass sich das Gesamtbild aus diesem Flickenteppich ergibt, wenn die Geschichte aus ihrem Loch gekrochen kommt und nach den Ködern schnappt.
Ich brauche Konflikt, nicht nur Silbersangs inneren, mit der Freundschaft-und-Verrat-Sache zusammenhängenden Konflikt, sondern auch einen äußeren. Ein Feindbild muss her, ein Antagonist, eine Bedrohung. Die Regieanweisung der Verlegerin lautete: Bitte nicht die Dämonen aus dem „Feuersänger“.
Nein, natürlich nicht, dann würde ich ja dieselbe Geschichte zweimal erzählen, nur mit anderen Namen. In der Geschichte der Nithyara gibt es diese Bedrohung. Es ist noch gar nicht so lange her, in den Maßstäben eines sehr langlebigen und als unsterblich geltenden Volkes gedacht, dass die große Schlacht zwischen den hellen und den dunklen Völkern geschlagen wurde und mit einem unbefriedigenden Unentschieden ausging. Schuld daran waren unter anderem ein paar Dunkelelfen, die es leid waren, ständig im Gezerre zwischen Licht und Dunkel zu stehen und nach einem anderen Weg suchten. Aus diesen Dunkelelfen gingen die Nithyara hervor. Oh, da ist es ja, mein Konfliktpotential: Dunkelelfen und Nithyara können sich nicht ausstehen. Sie trauen einander nur so weit, wie sie einen ausgewachsenen Baum werfen können.
Was aber nun, wenn ein Nithyara sich mit einem Dunkelelfen anfreundet?
Was, wenn aus vorsichtiger Annäherung heimliche Freundschaft, heimliche Liebe entsteht?
Und dann: Verrat.
Die Geschichte nähert sich, futtert die Köder, dann setzt sich sich vor mich hin und sieht mich an. In ihren großen Augen spiegelt sich eine Welt, meine Welt, wie ein offenes Buch. Je nachdem, wie das Licht in diese Augen fällt, sehe ich etwas anderes. Und langsam formt sich ein Bild.
Und die Geschichte sagt: Da bin ich.
Nächsten Sonntag geht es weiter mit dem roten Faden. Kapitelexposé: Ja oder nein?
Drabble
… verirrten sich im Wald
Langsam wird es Gretel mulmig. Paps war eindeutig zu lange weg, der hat sie bestimmt vergessen.
„Ich will nach Hause“, mault sie. Wenigstens hat sie keinen Hunger.
Hänsel grinst. „Wir warten, bis es dunkel wird und dann gehen wir nach Hause.“
„Kennst du den Weg?“
„Nö, aber ich habe vorgesorgt.“
„Wie?“
„Wirst du schon sehen. Alles gut. Wenn ich nur nicht so einen Hunger hätte.“
Jetzt grinst Gretel und öffnete ihre Schürze. „Kein Problem!“
Hänsel stöhnt auf, als er die Brotbrocken sieht, die seine Schwester ihm präsentiert und gar nicht versteht, warum er aufspringt und sie eine dumme Kuh schimpft.
Stöckchen: Die Stellenanzeige, Teil 2: Heldinnengespräch
Sie erinnern sich? Es gab da mal diese Stellenanzeige. Dazu gehört noch ein Teil 2:
Der zweite Teil des Stöckchens umfaßt ein Interview mit dem Helden, nachdem er sich auf die Stellenanzeige gemeldet und den Job bekommen hat. Ist es ein Werk, das schon in Arbeit ist, führt das Gespräch die Seelsorgeabteilung der Agentur. Sind die ersten Worte noch nicht geschrieben, kann das Interview als Einstellungsgespräch geführt werden. Drei bis fünf Fragen, die der Held so wahrheitsgemäß wie möglich beantworten muß, genügen. Daß er bei der Beantwortung durchaus ins Schwitzen und Verzweifeln kommen darf, ist selbstverständlich. Wie haben seine Hoffnungen sich erfüllt? Warum meint er, besonders gut auf die Anforderungen im Stellenprofil reagieren zu können? Was denkt er über seine Autorin/seinen Autor? Und würde er sich noch einmal bewerben?
Vor mir sitzt eine junge Frau, dunkelhäutig und von katzenhafter Anmut. Goldene Augen leuchten mir aus dem schmalen Gesicht entgegen, sie lächelt.
Autorin: Zersa, du hattest dich auf die Hauptrolle in der Novelle „Nachtjägerherz“ beworben und die Rolle bekommen. Wie fühlst du dich?
Zersa: (lächelt immer noch) Zufrieden. Ja, ich bin ausgesprochen zufrieden. Mein Start in die Rolle war ja nicht sooo schön, aber mit dem Ende bin ich ausgesprochen zufrieden. Ich habe meinen alten Stand zurück, ich werde anerkannt und das mit meinem Freund bekommen wir doch sicher auch noch hin, oder?
Autorin: (grinst) Wir arbeiten dran. Dein Freund, da sagst du etwas. Wie gefiel… gefällt dir die Zusammenarbeit mit Tiano?
Zersa: Anfangs war er ja ein fürchterliches Trampeltier.
(Stimme aus dem Off: EY!!!!)
Zersa: (lacht) Er wusste nicht, wie man sich im Wald bewegt, er war einfach ein großer ungeschickter Trampelmensch, aber er war ja lernfähig. In jeder Hinsicht. ich denke, dass ich es ohne ihn nicht geschafft hätte, meiner Rolle gerecht zu werden. Er hat mir sehr geholfen. Und er war lernfähig. Ich bin gespannt, was er sagt, wenn er herausfindet, dass auch er ein Gestaltwandler ist.
(Stimme aus dem Off: Was? Wie bitte, wer ich?)
Autorin: Das freut mich sehr. Zersa, wenn du die Wahl hättest, würdest du das alles noch einmal machen?
Zersa: Ja, auf jeden Fall. Ich weiß gar nicht, was die anderen alle haben, Tina, ich habe gern mit dir zusammengearbeitet und freue mich sehr über die Vertragsverlängerung. Ich habe schon einiges an Ideen, wie es weitergehen könnte, wir könnten doch… (beugt sich zur Autorin und flüstert ihr ins Ohr)
Autorin: OMG, hilfe… eine kreative Hauptfigur! Ich bin eine Autorin – holt mich hier raus!